Vielleicht interessiert den Ein- oder Anderen ein wenig Hintergrund...wen nicht, der mag diesen Artikel gerne überspringen ;)
Es ist mitunter aufgefallen, dass die bisher geschriebenen Gedichte allesamt Sonette sind, was schlicht ergreifend daher kommt, dass mir diese Form derzeit am meisen zusagt.
Es existieren zwei "Hauptarten" von Sonetten, wobei es in beiden Fällen vier Strophen gibt: Das traditionelle Sonett und das Shakesperean Sonnet.
Im "traditionellen" oder "eigentlichen" Sonett haben wir zwei Quartette, gefolgt von zwei Terzetten. (Ein Quartett hat vier Zeilen, ein Terzett drei)
Die Reimstruktur ist dabei meistens, aber nicht notwendigerweise, abba cddc ffg hhg.
Das mag erstmal komisch aussehen, heißt aber nur, dass die Terzetten umarmende Reime sind - sich also die erste und letzte, sowie die zweite und dritte Zeile reimen - und bei den Terzetten die erste und zweite jedes Terzetts, sowie die dritte Zeile beider Terzetten miteinander.
Puh, verstanden?
Am besten mal ein Beispiel:
In diesem Beispiel gibt es keinen Sinn,
keine Nachricht, die man lesen kann,
es geht um die Struktur, die man ersann,
und der ich heute gerne folgend bin.
Auch die zweite Strophe dienet nicht,
tiefen Sinn der Welt kurz zu erklären,
gerne kann man sich bei mir beschweren,
doch steht die Struktur im Rampenlicht.
Und die Dreiergruppen reimen sich,
wie versprochen, fast schon lächerlich,
fast, als wär' das alles nur ein Spaß.
Dennoch weiß man jetz vielleicht, wie's geht,
für das Lernen ist es nie zu spät,
weil man nach der Schule viel vergaß.
Wie man sieht, wurde die Reimstruktur eingehalten - dies wäre also ein absolut typisches Sonett mit umarmenden Reimen oben und Paar- sowie strophenübergreifendem Reim in den Terzetten.
Eines sollte allerdings noch gesagt werden: Auch inhaltlich gibt es gewisse Regeln bei Sonetten, so sollten eigentlich die Terzetten der Stimmung der Quartette widersprechen, diese hinterfragen, eine neue Atmosphäre und Zweifel schaffen oder die unvermutete Wahrheit ausdrücken. In jedem Falle sollte man auch inhaltlich eine Trennlinie ziehen können zwischen Strophen 1, 2 und 3, 4. Dass dies natürlich recht gut wirkt, weil zusammen mit der Strukturänderung auch eine inhaltliche Änderung entsteht, muss nicht extra betont werden.
Selbstverständlich kann man bei dieser Struktur sehr viel variieren - insbesondere beim Umgang mit den Terzetten gibt es viele Varianten: Von eee fff über efe gfg bis hin zu efg efg ist fast alles möglich. (Rilke übrigens nahm sehr gerne efe gfg, was bei ihm ausgezeichnet wirkt.)
Die zweite Form der Sonette ist nicht viel anders, aber doch bemerkenswert: Der gute Shakespeare ließ es sich nicht nehmen, mit der Grundtradition der Terzetten zu brechen und ließ diese gleich ganz weg.
Weil ein Gedicht, das nur aus zwei Quartetten besteht, aber etwas merkwürdig und seiner hohen Kunst nicht würdig gewesen wäre, hat er die Quartette um eins erweitert, sodass wir drei haben, und ferner noch einen Paarreim an's Ende gestellt.
Weil er bei den Quartetten auch den umarmenden Reim nicht nahm, sondern einem Kreuzreim vertraute, kommt folgende Struktur zusammen: abab cdcd efef gg
Da man auch das vielleicht besser mit einem Beispiel nachvollziehen kann, hier das 57. Sonett Shakespeares (er hat es auf 154 gebracht!):
Schwarz galt für schön nicht in der alten Zeit,
Und war es schön, ward es nicht so genannt,
Doch Schönheit ward durch falsche Schmach entweiht
Und Schwarz heut als ihr Erbe anerkannt.
Denn seit die Kunst, mit Wahrheit um die Wette,
Durch falschen Schein das Schöne ahmte nach,
Verblieb der Schönheit Namen nicht noch Stätte,
Entheiligt ward sie oder lebt in Schmach.
Drum hat mein Mädchen rabenschwarzes Haar
Und Augen, als ob sie in Trauer wären
Um die, die, angeborner Schönheit bar,
Durch falschen Schimmer die Natur entehren.
So trauern sie, doch mit so holdem Schein,
Daß jeder sagt, so sollte Schönheit sein.
Zeit, nannt, weiht, kannt - abab
Normalerweise, übrigens, sind Shakespeares Sonette komplett jambisch (also im Jambus geschrieben), der Übersetzer schien allerdings entweder nicht fähig oder nicht willens gewesen zu sein, diesen Jambus auch im Deutschen anzuwenden - schade.
An dieser Stelle soll dann die kurze Lehrstunde auch vorbei sein - wer's bis zum Ende gelesen hat: Respekt, wer nicht, ist auch nicht schlimm, aber ich denke mal, ein wenig Hintergrundinformation ist vielleicht nicht übel.
Aron
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