Dienstag, 16. Oktober 2007

Fassaden und Welten

Hinter dieser lichten Menschfassade,
hinter dem Kulissenwerk aus Haut,
hinter dieser Taktik mit Rochade,
deren Sinn die Emotionsblockade,
ist ein Menschenleben aufgebaut.

Hinter diesen unbestimmten Blicken,
hinter Augen, deren Glanz man ahnt,
hinter dieser Höflichkeit beim Nicken,
die sich müht, das Inn‘re zu ersticken,
ist ein All, das Welten um sich bahnt.

Hinter diesen Possenspiel-Kostümen
hinter dieser frommen Schönheit Schein,
hinter diesen Künstlern, die sich rühmen,
voller Kunst die Lüge zu verblümen,
lauert stets das Drehbuch namens „Sein“.

Montag, 15. Oktober 2007

Momentaufnahme

Ein unsichtbarer Witz zieht ihre Brauen
zu feinen Bögen, zeichnet ihr Gesicht
in seiner Mimik voller Weltvertrauen,
ein Mehr an Ausdruck braucht es dafür nicht.

Und auch der Lippen feiner Winkel Zug
enthüllt subtil das vage Mienenspiel
in seiner Leichtigkeit, die Frohsinn trug,
ein Frohsinn, dessen stiller Mut ihr Ziel.

Die Augen stechen dumpf wie Diamanten,
die zwar verhüllt, doch allzu sichtbar sind,
sie gleichen dem Gefühl, dem wohlbekannten,
nach dem man meint, sie sei’n bald Frau, bald Kind.

Ihr sanfter Blick gen Himmel scheint zu fragen,
von welchen Dingen man noch singen mag,
und gleichsam zu sich selbst im Stillen sagen,
dass, was auch kommt, gespürt wird jeder Tag.

In diesem in sich ganzem Arrangement
verliert sich jede Wirklichkeit – und sie,
die ihren ominösen Teint
zu Tage trägt, schafft alle Harmonie.

Sonntag, 14. Oktober 2007

Grafitti

Die Nacht ist schwarz und schluckt noch jeden Schatten,
die Totenstille dient als Filmmusik,
und ihnen als Kulisse für den Krieg,
für den sie alles ausgeklügelt hatten.

Ein kurzes Regen, knapp ertönen Schritte:
Ein Zischen folgt, verweilt für kurze Zeit.
Sekunden nur, dann ist man schon bereit
zu flüchten, fern der Kunst in ihrer Mitte.

Und wenn man später Blaulicht sieht und hört
und Menschen, die Geschehenes verfluchen
und fiebrig nach den Übeltätern suchen,
dann fragt man sich, warum nur Kunst empört.

Samstag, 13. Oktober 2007

Fiebertraum

Wie schnell sich das Leben entfernt.
Man wähnt sich gerade noch in seiner Mitte
und setzt sich nur kurz, schon künden sich Schritte
des Abschieds – ein Wesen entkernt.

Wie schnell man das Leben verlernt.
Noch eben genießt man in Zügen voll Tiefe
den Himmel, der schwärzer nur selten entschliefe,
nun ist nur der Geist noch besternt.

So ausgehöhlt leidet man nicht mal an Leiden,
kann Schmerzen durch schmerzliche Risse vermeiden
und dennoch entscheidet sich niemand dafür.

Nur kann man nicht wählen – in nächtlichen Zwängen
vernimmt man auf Gängen, wie Stimmen vermengen,
Gesang als gespenstische Kür.

Freitag, 12. Oktober 2007

Die inneren Werte

Ich kenne Deinen Namen nicht einmal,
doch ist mir Deiner Schönheit Gegenwart
ein Zauber, der in meinem Sinn verharrt,
ein Freund, der mich zu meinem Glück befahl.

Und wüsst‘ ich nicht, wie’s Laufen richtig geht:
Ich sähe Deiner Füße feinen Schritt,
vergaß bald allen Stillstand, den ich litt
und rannte wie ein Wind, der mutig weht.

Das Sehen wird in Deiner Augen Braun
erst wirklich lohnend – erst durch Dich ein Trick
des Lebens, das in Deinem tiefen Blick
sich spiegelt – mich ermutigt, auch zu schau’n.

Nur kennst Du auch das ganze Gegenteil
und annullierst die and’ren Zauber ganz
durch diesen kalten, klaren Wasserstrahl.

Denn öffnest Du den Mund und bietest feil
an Worten, was der schönen Lippen Tanz
entsteht, wird all die bunte Pracht mir fahl.

Dann gibst Du Preis, was niemand ahnte, weil
Die atemlose Schönheit wie ein Kranz
die Dummheit schmückt, verdeckt das dunkle Mal.

Donnerstag, 11. Oktober 2007

Kind der Stadt

Ohne auch nur einen Satz zu sagen
schweift und streift er durch die rege Stadt,
deren Puls ihn angeleitet hat,
wieder neu den treuen Bund zu wagen.

Ohne Zagen, ohne Zögern schreitet
Fuß vor Fuß sein Schatten durch die Stadt,
gleitet über Wände, sieht sich satt,
malt den Umriss dessen, der ihn leitet.

Ohne Barrieren, ohne Trennen
ist er so intim mit dieser Stadt,
wie er nie mit Menschen, die ihm matt
und fremd erscheinen, je sich könnte kennen.

Mittwoch, 10. Oktober 2007

Versöhnliche Harmonien

Musik, mich zu versöhnen mit der Welt,
mit diesem Berg an leichter Existenz.
Ein Trieb, sie zu verhöhnen mich befällt,
doch ist sie das nicht wert in meinem Lenz.

Mir blühen fruchtig reiche Melodien,
wertvoll, teuer, eben weil so schlicht.
Da habe ich der Umwelt schnell verziehen,
dass manchmal sie im Innersten mich bricht.

Mir angedeihen feine Harmonien,
in ihrem Tonspiel frech und groß und feist
und sind mir auch beim letzten Mal gediehen,
noch heut‘ von ihrer Schönheit zehrt mein Geist.

So liege ich, die Ohren voller Klänge,
das Weltgeschehen blasser Hintergrund,
der manchmal flackert, fast als ob er dränge
durch den Nebel, meinem bunten Schwund.

Alles schwankt und gibt die Töne wieder,
die Frequenzen manchen Vibration,
so entstehen wahre Lebenslieder:
Nur durch Fließen, Ton um Ton um Ton.

Dienstag, 9. Oktober 2007

Eine feine Tanzgesellschaft

Alles wankt mit feinen Schritten
lächelnd zum Dreiviertelmaß.
Herren fragen „Darf ich bitten?“
nach dem dritten Perlweinglas.

Damen dürfen in Kostümen
gleichsam einer Modeschau
stolz flanierend ihrer rühmen,
Herren wird’s im Herzen flau.

Wie zu besten Kaiserzeiten
glitzert alles, glänzt, brilliert.
Dieser Adel – schon von weitem –
gibt sich freilich höchst geniert.

Nur auf einem einz’gen Orte
findet Glanz fürwahr nicht Platz:
Wenn die Wiener Sachertorte
aus dem Darm fliegt, mit Rabatz!

Montag, 8. Oktober 2007

Untreue

Im Zweifel für den Angeklagten,
doch bin ich kein Agnostiker.
Was and’re sahen, and’re sagten
Trifft mich und verletzt mich schwer.

Da wird der Baum in seiner Zierde
betoniert in meinem Sinn.
Nein, sowas kann nur die Begierde,
derer ich kein Herr mehr bin.

Doch was ist Treue? Was ist Lieben?
Was ist Hoffen? Kinderkram?
Ist denn wirklich nichts geblieben?
Bleibt mir nur der Spott zur Scham?

Tausend Mäuler fressen gierig
Mein Gehirn, weil’s sich belügt.
Alles ist halt etwas schwierig,
wenn sie einen so betrügt.

Sonntag, 7. Oktober 2007

Der Falke

Die Flügel im weitesten Abstand gehalten,
der Kopf und der Hals als verlängerter Rücken,
den Aufschwung erwartend, oh Winde beglücken
durch Thermik den Falken, er kann sich entfalten

und hier kann er walten, der König der Lüfte,
sein Blick schweift durch Täler, in Berge gegossen,
der Aufstoß erfasst ihn, er steigt wie auf Sprossen,
erhaben verlässt er die niedrigen Klüfte.

Und später, im Horst, wenn er atmet und wartet,
die prächtigsten Berge weit hinter sich weiß,
dann scheint er schon weniger edel geartet.

Dann wirkt er gewöhnlich – vergangen, was war
Und erst, wenn er wieder voll Anmut, doch leis‘
In Lüfte stößt, wird er von Neuem zum Zar.

Samstag, 6. Oktober 2007

Tagesanbruch/Morgenröte

Der Atem einer Kolorierung pustet
Inzwischen Zweig- und Ästewerk hervor.
Die Ahnung einer Farbe hingehustet –
Schon folgt der Urknall uns’res Tageslichts,
die Glimmerkugel steigt durch’s Himmelstor,
im Zwielicht bleibt nur wenig, dunkel nichts.

Entzündet einem Waldbrand gleich den Himmel,
ein Feuer, dessen Lauf in voller Fahrt
bald Bäume flammt, bald rotgefleckte Schimmel
am Firmament, bald jeden Platz erhellt
und stolz in milder Klarheit sanft verharrt,
bevor es glühend vom Zenit aus schnellt.

Und gleißend schmilzt die neugebor’ne Welle
Der Nachtesstunden schwarzes Eis liquid,
auf dass es fließend flüchte vor dem Helle
und voller Reumut seine Wunden leckt,
noch während es zur and’ren Seite flieht,
wo’s bis zum neuen Abend sich versteckt.

Freitag, 5. Oktober 2007

Hospital

Ein toter Geist durchstöbert kalte Flure,
steril versprüht er nüchtern kranke Luft.
Es singt der Zeigertakt der kleinen Uhre,
vertont gesichtslos den Arzneienduft.

An blassen Wänden hängen blasse Bilder,
als hätte man Traumlosigkeit gemalt.
Im Neonlicht wird jede Farbe milder,
bis schließlich nur noch dumpfes Weiß erstrahlt.

Hier konzentrieren schweigend sich Geschichten
von Leiden, Schmerz und Unglück inspiriert.
Hier wird das Leben manches Schicksal richten –
ein Richter, dessen Kälte fasziniert.

Donnerstag, 4. Oktober 2007

Schmerz

Bein gebrochen, scheiße scheiße
aua aua, weh tut weh.
Schmerzen brennen, heiße heiße
bitte kühlen – Schnee, brauch Schnee!

Alles Nebel, Zeit verzogen
Raffer, Raffer, flieg mich weg.
Aua aua, Bein verbogen
und am Rücken ganz viel Dreck.

Nicht berühren! Hilfe! Schreien!
Weggetreten, brüll und brüll.
Bitte Pille, Ohnmacht leihen!
Schreie – Lunge – füll oh füll.

Endlich Koma, selbst erkoren,
Pause klein vom krummen Bein.
Und im Traum schließ ich die Ohren,
will’s nicht hör’n, mein eig’nes Schrei’n.

Nachträge

Aufgrund einer größeren Krankengeschichte konnte ich leider längere Zeit nicht für lyrischen Nachschub sorgen, das tut mir leid. Zum Glück aber habe ich auch während dieser Zeit zumindest gelegentlich Muße gefunden, mich einiger Verse zu befleißigen. Ihr Nachtrag wird nun folgen.

Mittwoch, 3. Oktober 2007

Der Seehund

Es klatscht der fette Bauch auf’s Eis,
ein Schnaufen ist zu hören.
Die Schnurrbarthaare sind ganz weiß,
und wissen zu betören.

Der tiefen Augen schweres Braun
glotzt friedlich durch die Gegend.
Dann setzt er fort, sich aufzubau’n,
die dicke Brust bewegend.

Nun sitzt er wie ein Zirkustier
und imponiert den Weibchen.
Und zeigt: Er ist der König hier!
Und zeigt sein Haaresleibchen.

Im nächsten Augenblicke schon
will er sich weitertragen,
es rummst ein herrlich hoher Ton –
der Bauch ist aufgeschlagen.

Dann schlängelt und dann zieht er sich
mit dünnen Seehundflossen.
Halb ist der dabei lächerlich,
halb sind es schöne Possen.

Dienstag, 2. Oktober 2007

Brief an die Schwebende

Schwebende,

lass mich, den alten Fantasten, im Traume mir malen, wie fein Du erbebst.
Ich möchte mir denken, wie, schwebend, Du lebst, in Lüften verharrend, um fühlend zu rasten.

Bitte gestatte mir Suchendem eines und weise mich, malend die köpfische Dichtung auf Blicke im Innern, nicht ab – Deine Richtung begeistert mein Wesen, die Ahnung, die kleine.

Ich mag nicht von Helden berichten, die starben, um And’re zu schützen, um nicht mehr zu darben – vermessen wär’s, sieht man mich einfachen Mann.
D’rum bild‘ ich Geschichten in unwahren Farben voll Leuchtkraft, verdeckend die wirklichen Narben, wie ich es dank Dir oft nur kann.

Montag, 1. Oktober 2007

Gehversuche

Die unverblümte Kusshand durch die Blumen,
ein Blick als ein Versprechen, kecke Augen,
er als Vogel, sammelnd ihre Krumen,
ist stets bemüht, ihr Wirken aufzusaugen.

Der tiefe Blick des blickvertieften Jungen
und ihr Vergnügen, seines sehend, neckt
und wird von ihrer Anmut frech besungen,
noch während sie ihr Dekolleté versteckt.

Er zeigt sich von der mannsbetonten Seite
und meint, er kämpfe um die ganze Frau,
doch ist er Junge, sie ein Mädchen, beide
verstellen sich – und wissen’s ganz genau.

Sonntag, 30. September 2007

Herbst III

Entschuldigt bitte die Namensgebung - jedoch darf ich betonen, dass nicht Einfallslosigkeit noch Mangel an Motivation den wiederkehrenden Titel begründen. Vielmehr habe ich mich entschlossen, eine Gedichtserie zu Ehren des Herbstes zu schreiben - diese Gedichte gehören zusammen, inhaltlich wie auch stilistisch und es wäre schlicht falsch, sie durch den Titel zu trennen. Ich bitte um Verständnis, was dies betrifft und wünsche mir aufrichtig, dass die ein oder andere Herbststimmung durch die Texte heraufbeschworen werden kann.


Oktober strömt im Geiste, strömt in Äste,
verkleidet Tal und Hänge in Pastell.
Der Sommer war recht lang, die Sonne grell –
nun trägt sie braunen Schleier durch die Felder,
begleitet aller Wesen bunte Feste,
entwickelt leuchtend Gelb zu Gold der Wälder.

Und gleichsam mit dem Ende alter Zeit
verkündet dieses Intermezzo froh
die neue, woraufhin sie lichterloh
beweist: Der Herbst als Kompromiss den Maßen,
Balanceakt Extremen, ist befreit
und größte Jahreszeit auf gold’nen Straßen.

Mit unsichtbaren, flinken Geisterfingern
sortiert der Wind die Laubesordnung um,
verwirbelt heulend Blätter, dreht sie rum
und webt sich einen Teppich, nur aus Tönen,
die zwischen Rot und Braun noch ständig schlingern,
mit diesem Farbspiel jedes Grau verhöhnen.

Das Licht des Tages neigt sein Flammenhaupt,
befeuert aller Bäume Blattwerk strahlend
und zündet so ihr Licht: Wird sonnenmalend.
Kontraste – sie beherrschen nun die Welt,
der Hintergrund im Dämmerlicht verstaubt,
noch während vorn der Blätter Glanz erhellt.

Samstag, 29. September 2007

Herbst II

Zeit, die Schönheit zu sehen.
Im Winde vergeht manches Blatt.
Gewordenes bleibt ungeschehen,
nachdem es sich eingeprägt hat.

Zeit, durch Farben zu gehen.
Voll Tupfern bemalt sich die Stadt.
Rötliche Kleckse verwehen,
bald strahlend, bald leuchtend, bald matt.

Es weinen auf Kopfstein und Pflaster
die Bäume ihr knisterndes Laub.
Lampionblume und Aster
erschaffen aus Blüte bald Staub.

Als Labsal den riechenden Blicken
entwirft sich die Erde so neu.
Man droht fast im Meer zu ersticken,
das Auge verzehrt ohne Scheu.

Zeit, die Schritte zu setzen.
Kein Blatt ist dem anderen gleich.
Man muss dieses Schauspiel nur schätzen.
Die Erde beschenkt uns so reich.

Freitag, 28. September 2007

Flucht

Es schlägt das Piano um sieben.
Die Kirchturmuhr prägt ein Duett.
Und als mich die Geister umtrieben,
da wär‘ ich so gern noch geblieben,
doch musste ich leider in’s Bett.

Ich hörte noch lange die Klänge.
Und ließ mich verzaubern und schlief.
Im Träume noch war es, als sänge
ein Engel und flog über Hänge
und Felder, auf denen ich lief.

Da waren Akazienbäume.
Die wiegten gemeinsam im Takt.
Und Lieder verzierten die Räume,
bescherten mir seligste Träume,
in kindlichen Wünschen verpackt.

Und schließlich erwachte der Morgen.
Und weckte mich von meinem Glück.
In Plattenbauwohnung, in Sorgen,
von Liedern im Dunkel verborgen,
ersehn‘ ich mich wieder zurück.